
Judith, 30, studiert Katholische Theologie und lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Bad Orb. Die junge Mutter bewegt die Frage, wie sich Religion unter die Leute bringen lässt. Vor einiger Zeit hat sie festgestellt, dass das Kirchenprogramm im Radio mehr ist als die Übertragung von Sonntagsgottesdiensten. Inzwischen gibt sie der Kirche dort selbst ihre Stimme. In MOMENT 2/2021 hat sie erzählt, wie es ist, regelmäßig auf Sendung zu sein.
Letztes Jahr habe ich gemerkt, dass mich mein Studium inhaltlich nicht mehr erfüllt. Ich war auf der Suche nach dem „Mehr“ in der Theologie, ja danach, was sich mit der Theologie praktisch machen lässt. Es sollte etwas Spannendes und Kreatives sein. Etwas, bei dem ich Neues lernen und mich ausprobieren kann. Ein ehemaliger Dozent hat mir von seiner Arbeit beim Radio erzählt. Da bin ich neugierig geworden und habe mich über die Möglichkeiten informiert. Von kirchlichen Radiosendungen hatte ich bisher nicht viel mitbekommen. Die modernen Konzepte, das Mitten-aus-dem-Leben haben mich angesprochen. So habe ich mich im Sommer einfach mal für zwei Sendeformate beworben. Im November war ich bei einem Workshop dabei und richtig los ging es Anfang des Jahres.
ZWEI FORMATE: MUSIK, DIE DIE SEELE BERÜHRT, …
Ich schreibe für zwei Formate: für den „Songcheck“ bei You fm und für „Zuspruch“ bei hr1. Bei „Songcheck“ geht es darum, ein Lied aus den Charts christlich zu deuten: Was steckt darin, was mein Leben als Christin und meinen Glauben bereichert? Klar, dass der Liedtext nicht ursprünglich so gemeint sein muss. Ich schaue einfach: Was kann ich darin entdecken? Was nehme ich mit?
Der „Zuspruch“ beschäftigt sich mit aktuellen politischen oder gesellschaftlichen Ereignissen und schaut: Wo kann ich Gottes Spuren in der Welt entdecken?
Das jeweilige Sendeformat gibt den Themenbereich vor bzw. grenzt ihn ein. Wenn ich für „Songcheck“ einen Beitrag mache, kann ich aus einer langen Liste mit Liedern auswählen. Zuerst höre ich mich in die aktuellen Songs ein und beschäftige mich mit den Texten. Ich schaue mir die offiziellen Videos dazu an und recherchiere die Hintergründe: In welchem Kontext ist ein Lied entstanden? Was wollte der Sänger / die Sängerin damit ausdrücken? Dabei suche ich nach einem Gedanken, der mich anspricht und nicht mehr loslässt. Die Idee lasse ich dann erst mal mit mir gehen.

Beim Wäscheaufhängen oder Staubsaugen kann ich z. B. super darüber nachdenken, was starke Frauen mit Jesu Botschaft zu tun haben.;-) Dann geht es ans Formulieren: Was will ich wie sagen? Welche Textpassagen sollen im Beitrag eingespielt werden? Die Beiträge sind teilweise nicht mal zwei Minuten lang – ich muss schnell auf den Punkt kommen und mit wenigen Worten mein zentrales Anliegen aussagen. Meinen Text schaut sich der Redakteur an. Er macht auch noch Vorschläge zu Formulierungen, Kürzungen usw. Wenn wir uns einig sind, ist meine Arbeit beendet und alles geht an den Sender. Eine professionelle Sprecherin spricht dann den Text ein; die Songausschnitte werden eingespielt. Der fertige Beitrag wird sonntags ab 9:15 Uhr bei You fm gesendet. Online kann man ihn übrigens auch nachhören und -lesen.
… UND ZEITENSTIMMEN
Für „Zuspruch“ mache ich zwei frei gewählte Themenvorschläge und lasse den Sender entscheiden. Wichtig ist, dass es in den Texten um meine persönliche Wahrnehmung geht: Was ist mein Eindruck von einem Ereignis? Wo kann ich darin Gott finden? Ich sage nicht: Du musst das und das glauben oder Gott will, dass du xy tust.
Bei der Themenfindung überlege ich, was mich in den letzten Tagen beschäftigt hat und was das mit Gott zu tun hat …
Praktisch überlege ich mir bei der Themenfindung, was mich in den letzten Tagen beschäftigt hat, was durch die Nachrichten ging, worüber die Leute gerade reden. Vor allem: was das alles mit Gott zu tun hat. Wie sich das christlich verstehen bzw. deuten lässt und wo ich Gott in diesem Ereignis entdecke. Wenn der Sender unter meinen Vorschlägen gewählt hat, geht es ans Schreiben. Auch hier bespreche ich den Text mit meiner Redakteurin. Wenn er fertig ist, schicke ich ihn an den Sender in Frankfurt. Für mich geht es diesmal noch weiter, denn bei diesem Format spreche ich den Text selbst. Das findet in der Rundfunkredaktion in Fulda statt.
Fürs Radio eine Aufnahme zu machen, ist etwas ganz anderes, als „einfach so“ zu reden. Dahinter steckt richtig Arbeit. Es macht aber total Spaß und ich kann viel lernen. Außerdem kann ich so selbst Akzente setzen, was die Betonung bestimmter Worte betrifft, auf die es mir besonders ankommt. Anfangs dachte ich, dass ich meinen Text vorlese und fertig. Aber zwischen „normal“ sprechen und „fürs Radio sprechen“ besteht ein riesiger Unterschied. Es gibt zahlreiche Anweisungen. Also, gerade hinstellen, mit den Händen und Armen gestenreich den Text unterstreichen, die Mimik einsetzen: ständig lächeln, bei betonten Wörtern die Augen aufreißen, scheinbar total übertrieben laut und betont sprechen. Aber alles, was sich nach „zu viel“ anfühlt, ist genau richtig. Am Ende kommt eine Aufnahme heraus, die sich ganz normal anhört. Meine nächste Aufgabe ist dann: samstagmorgens um 7:10 Uhr Radio einschalten und meinen Beitrag anhören.

WIE ICH „RADIOMENSCHEN“ ERREICHE …
Die Zielgruppen der Sender sind sehr unterschiedlich: You fm richtet sich an 14–29-Jährige, hr1 an 40–60-Jährige. Das spiegelt sich natürlich in meinen Texten, der Sprache, den Formulierungen usw. wider. Beim Schreiben achte ich darauf, ob ich die Menschen duze oder sieze, ob ich lockere Alltagssprache oder geschliffenere Formulierungen wähle usw. Insgesamt ist wichtig, zu wissen, dass wohl die wenigsten Menschen sich hinsetzen und sagen: „So, und jetzt höre ich Radio.“ Das läuft eher nebenbei: beim Autofahren, Kochen, unter der Dusche etc. Das heißt, die Adressaten sind auch nur mit halbem Ohr dabei. Wenn ich will, dass sie etwas aus meinem Beitrag mitnehmen, darf ich nicht lange drumherum reden, sondern muss schnell und präzise auf den Punkt kommen. Tatsächlich macht für mich einen guten Beitrag aus, dass er einen Kerngedanken hat, eine Botschaft, die ich rüberbringen will. Da dürfen nicht noch drei andere kleine Botschaften mitschwingen, sondern ich konzentriere mich auf die eine Aussage, leite zu ihr hin und erkläre sie. In ganz kurzer Zeit ein Glaubens- oder Lebensthema aufzubereiten und verständlich zu formulieren, ist herausfordernd.
… UND WAS MICH MOTIVIERT
Ich freue mich, dass ich etwas Positives über den Glauben sagen kann. Bei aller berechtigten Kritik an der Kirche, die zurzeit durch die Medien geht: Kirche ist mehr als das Versagen von Amtsträgern oder schwer verständliche und lebensweltferne Antworten aus dem Vatikan. Da geht es auch um meinen Glauben, um Gott und um mich. Um die Fragen: Was hat dieser Gott mit mir/dir und meinem/deinem Leben zu tun? Das kann ich im Radio zum Ausdruck bringen und dafür gebe ich gern meine Stimme. Es macht mir Freunde, dass ich bei meiner Radiotätigkeit kreativ sein kann. Auch ich selbst entwickle mich dabei weiter, weil ich mich mit Glaubensthemen beschäftige; mit den großen Fragen, auf die ich nicht immer eine Antwort finde.
Kirche ist mehr als das Versagen von Amtsträgern oder schwer verständliche Antworten aus dem Vatikan.
Bei dieser Art von Verkündigung erinnert mich tatsächlich auch sehr vieles an meine Arbeit in der Schönstattbewegung Mädchen/Junge Frauen. Wenn wir beim Schwarzhorn (der jährlichen Verantwortlichentagung) ein Jahresmotto gesucht haben, ging es ja auch erst mal um den Zentralwert, also die Kernaussage: Was will ich sagen und ausdrücken? Beim Radiotexte-Schreiben gehe ich genauso vor. Wenn ich weiß, was ich sagen will, kommt die nächste Runde: Die Aussage in schöne Worte packen bzw. eine treffende und griffige Formulierung finden – so wie die Jahresparole.
Außerdem habe ich in Schönstatt Glauben immer als lebensnah und lebenspraktisch erlebt. Es ging nie um irgendetwas Theoretisches, sondern um das Konkrete, Persönliche: „Gott in meinem Leben“. In meinen Beiträgen fürs Radio ist es genauso: Da will ich die Menschen auch nicht über irgendetwas belehren, sondern ich will sie an meiner Weltsicht teilhaben lassen, an der Art und Weise, wie ich Gott erlebt habe, und daran, was der Glaube für mein Leben bedeutet.
Radio ist mehr als Nachrichten, Musik und Unterhaltung. Dort über Gott und Glauben zu sprechen, bietet die Möglichkeit, Menschen zu erreichen, die sich sonst nicht mit diesen Themen beschäftigen würden. So werden sie unerwartet – und manchmal auch ungewollt – damit konfrontiert.

Vielleicht kommt es zu einem Gedankenanstoß, der eine weitere Auseinandersetzung bewirkt. Vielleicht nimmt irgendjemand ein für ihn passendes Wort mit, vielleicht einen Gedanken, der ihn den Tag über begleitet. Menschen mit meiner Arbeit inspirieren zu können, ist eine sehr schöne und erfüllende Vorstellung!
Für alle, die gern mehr erfahren wollen:
https://www.kirche-im-hr.de/autorenautorinnen/vonderau-judith/
Fotos: www.unsplash.com (1, 3), privat (2), Carolin Poppe (4)
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