
Elisa, 24, aus der Diözese Augsburg arbeitet seit fünf Jahren als Krankenschwester auf der Onkologie. In MOMENT 3/2020 hat sie uns von ihrem Beruf erzählt: von Höhen und Tiefen, davon, wie sie ihren Alltag meistert, und von dem, was ihr Hoffnung gibt.
Nach Abschluss meiner Ausbildung habe ich am Krankenhaus in Regensburg hospitiert. Wegen Personalmangels bin ich auf die Onkologie geschickt worden. Das ist die Station für Patienten mit einem Krebsleiden. Die Arbeitsatmosphäre hat mich so begeistert, dass ich dort hängengeblieben bin. Das Besondere ist, dass die meisten Patienten immer wiederkommen und sich dadurch echte Beziehungen bilden können. Durch das Bewusstsein, dass ich viele Menschen wiedersehen werde, gehe ich anders mit ihnen um. Ich will der Person beim nächsten Mal wieder ins Gesicht schauen können, ohne mich schämen oder entschuldigen zu müssen, dass ich im Stress mal wieder etwas ruppig reagiert habe. Wenn die Patienten dann zum Beispiel nach vier Wochen wieder zur Therapie kommen, weiß ich, was sie mir beim letzten Mal erzählt haben, und kann darauf aufbauen.
Die für mich wichtigste Aufgabe ist: den Menschen in seiner Ganzheit zu sehen.
Damit wird nicht mehr nur über den Krebs geredet, sondern es gibt noch etwas darüber hinaus: Das, was den Menschen ausmacht, und das ist nicht in erster Linie die Krebsdiagnose. Die für mich wichtigste Aufgabe ist: den Menschen in seiner Ganzheit, in seiner Persönlichkeit hinter der Krebsdiagnose zu sehen. Mir ist wichtig, dass das, was ihn oder sie ausmacht, auch im Krankenhaus Raum finden kann. Besonders wertvoll macht meinen Job das Feedback der Patienten. Die Leute sind so dankbar und sagen das auch.
An eine Patientin kann ich mich besonders gut erinnern: Von 52 Wochen im Jahr war sie 40 bei uns auf Station. Als sie endlich ihren letzten Tag hatte und gesund entlassen werden konnte, haben wir uns so für sie gefreut. Da kommt dann so eine große Dankbarkeit, so eine Freude zurück. Mit Krebs ins Krankenhaus zu kommen, ist grauenvoll. Wir versuchen, einen Ausgleich zu diesem Leid zu schaffen, indem wir unsere Patienten durch die schlimme Zeit tragen und ihnen Hoffnung geben, weil wir einfach wissen, dass es wieder besser werden kann.
Es gibt natürlich auch die andere Seite: Wenn es ums Sterben geht und wir eine Sterbebegleitung machen, also den Menschen in Würde sterben lassen. Das heißt zum Beispiel, den Willen des Patienten zu akzeptieren. Wenn Menschen schon lange gekämpft oder ein gewisses Alter erreicht haben, wollen sie häufig nicht noch mal Therapie, sondern äußern den Wunsch, zu sterben. Dann ist es für uns wichtig, eher eine Symptomkontrolle zu machen, also nicht mehr den Krebs, sondern nur noch die Symptome zu behandeln. Was mir auffällt: Menschen, die die Vorstellung haben, dass es nach dem Tod gut weitergeht, können, so scheint mir, häufig leichter loslassen und sagen: „Ich als Mensch habe meine Kraftressourcen aufgebraucht. Ich kann nicht mehr und gebe die Verantwortung jetzt einem anderen in die Hand.“
Schicksale, die nahegehen
Manche Schicksale gehen mir besonders nahe. Ein Beispiel: Vor 2–3 Jahren ist eine 40-jährige Patientin nach einem Jahr Maximaltherapie bei uns gesund entlassen worden. Danach hat sie uns in ihren Garten zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Ich fand es so schön, dass sie uns eingeladen hat. Sie hätte ja auch nur mit Verwandten und Freunden feiern können. Aber ihr war wichtig: Wir waren ein Jahr ihre Lebensbegleiter gewesen – nun wollte sie ihre Dankbarkeit und Freude mit uns teilen. Vor etwa drei Monaten habe ich sie in der Ambulanz getroffen.

Ich hatte sie als typische Tumorpatientin in Erinnerung: dünn, ausgemergelt, blass, wenig Haare. Jetzt sah ich sie mit lockigen, wuscheligen Haaren, ein bisschen Farbe im Gesicht wieder – einfach eine strahlende Persönlichkeit. Das macht mich immer noch glücklich. Sie sagte, sie schätze ihr Leben viel mehr, seit sie die Diagnose bekommen hat, weil man im gesunden Zustand oft ein bisschen vergesse, was es heißt, gesund zu sein. Sie wisse, wie schlimm es ist, krank zu sein, und deshalb wisse sie auch, was es heißt, gesund zu sein und zu bleiben.
Ein sehr schweres Erlebnis war der Krankheitsverlauf einer jungen Mama Anfang 30. Zwei Monate vor der Aufnahme bei uns hatte sie ihr zweites Kind geboren. Nach der Geburt stellte sich heraus, dass aufgrund der hormonellen Umstellung in der Schwangerschaft ein früherer Brustkrebs wieder ausgebrochen war. Das Rezidiv war leider so schlimm, so aggressiv, so schnell wachsend, dass sie daran gestorben ist – und zwar innerhalb eines Monats. Von Tag zu Tag hat sie schneller abgebaut. Sie hatte große Atemnot, weil die Metastasen ihre Lungenfunktion massiv eingeschränkt haben.
Gegen Ende konnte sie nicht mal mehr ihrem Mann sagen, wie sehr sie ihn liebt, weil ihr die Luft dafür einfach gefehlt hat. Das Bild, wie sie im Sterben liegt, der Mann an ihrer Seite, beide im Wissen, dass es soweit ist – das war einfach nur schlimm. Schlimm war es auch deshalb, weil wir ihr nicht jedes Symptom so gut nehmen konnten, wie wir es uns gewünscht hätten. Und dass der Papa mit einem Kleinkind und einem frisch geborenen Baby allein dasteht und die Mama so jung einfach stirbt …! Am Anfang hat sie noch gekämpft, wollte leben und ganz viel dafür tun, war teilweise auch richtig sauer und wütend, weil sie so schwer krank ist. Aber als es dann immer schlimmer wurde, eine Therapieoption nach der anderen ausgeschöpft war und ihr die Kräfte immer mehr ausgegangen sind – zuletzt konnte sie nicht mal mehr das eigene Kind halten –, hat sie die Gewissheit, sterben zu müssen, irgendwie akzeptieren können. Sie wollte eigentlich nicht sterben, aber ihr blieb nichts anderes übrig.
Bevor das Atmen so schlimm geworden ist, hat sie ihr Leben – bildlich gesprochen – in die Hände Gottes gegeben und gesagt: „Ich habe keine Kraft mehr. Begleite mich jetzt auf diesem letzten Weg.“ Sie wollte die Verantwortung nicht mehr tragen und hat sich Gott anvertraut. Danach ist sie relativ schnell gestorben. Ja, wir sind als Menschen nicht allmächtig. Ich glaube, es wird leichter, wenn man das nach all den Kämpfen akzeptieren kann und es hinnimmt, wie es ist. Aber gerade in einem jungen Alter, noch dazu als junge Mama, ist und bleibt es einfach ungerecht.
Ja, wir sind als Menschen nicht allmächtig. Ich glaube, es wird leichter, wenn man das akzeptieren kann.
Gespräche am Lebensende
Wenn klar ist, dass es um eine finale Phase geht, versuchen wir, das Thema Sterben recht bald anzusprechen. Die meisten Menschen denken sich das ohnehin schon. Oft trauen sie sich einfach nicht, es an- oder auszusprechen. Viele sind dann froh, mal darüber reden zu können. Und ich glaube, dass jeder ein Recht darauf hat, zu wissen, was los ist, seine Sachen noch zu regeln, sich zu verabschieden … Gespräche mit Menschen, die nach langer Behandlung oder aufgrund ihres Alters den Wunsch, zu sterben, äußern und die den Tod als Erlösung sehen, sind oft sehr wertvoll. Viele erzählen dann, was sie in ihrem Leben erreicht haben und auf was sie zurückblicken. Sie können oft so richtig wertschätzen, dass sie leben duften. Das Sterben ist dann der Schlusspunkt, der einfach dazugehört.

Zugleich treten beim Thema Sterben häufig viele Ängste zutage. Ich glaube, es ist eine Eigenart des Menschseins, dass wir immer zum Besten streben wollen. Gerade in Extremsituationen hinterfragt man vieles, was man getan hat oder was man hätte erreichen wollen. „Bei der und der müsste ich mich noch entschuldigen“, höre ich oft. Oder: „Ich habe meinen Kindern nicht gesagt, dass ich sie gernhabe und stolz auf sie bin …“ Ich versuche dann zu ermutigen: „Noch bist du nicht tot – du kannst es noch ändern.“ Es sind oft so banale Dinge. Aber auch: „Ich hätte mehr aus meinem Leben machen können.“ Und „Ich würde meinen Kindern gern etwas mit auf den Weg geben und weiß nicht, was …“ Wenn eine gewisse Vertrautheit da ist, lassen viele die Masken fallen. In solchen Schlüsselmomenten fallen Fassaden und es kommt oft zu emotionalen Momenten, in denen man spürt: „Das macht dich zum Menschen.“
Es kommt oft zu Momenten, in denen man spürt: „Das macht dich zum Menschen.“
Die letzte Phase ist auch für die Angehörigen oft sehr schwierig. Wir können dann unterstützend wirken, erklären, was man gegen Schmerzen oder Atemnot tun kann, und manche Symptome, die als sehr belastend empfunden werden, als Zeichen eines normalen Sterbeprozesses einordnen. Zum Beispiel können wir darauf hinweisen, dass die Veränderung der Atmung oft ein Zeichen ist, dass Menschen sterben und dass man sich jetzt verabschieden kann. Oder dass eine Person – eine Oma, ein Opa – nicht stirbt, weil sie nicht mehr isst, sondern dass sie nicht isst, weil sie stirbt. Wenn ich sterbe, hat Essen keine Priorität mehr. Dann konzentriert sich mein Körper auf mich selbst, dann zentralisiere ich mich und dann gilt: Jetzt geht’s um mich.
Was ich am Abend mitnehme
Auch wenn ich meine Arbeitskleidung ausziehen und dann Elisa, die Nicht-Krankenschwester, sein kann – im Wissen, dass ich kompetente Kollegen habe, die den Fall übernehmen –, gibt es immer wieder Menschen, die ich in meinen Gedanken mitnehme oder in mein Abendgebet einschließe. Im Gebet kann ich so ein bisschen die Verantwortung abgeben. Außerdem hilft das Reden mit Kollegen. Schwierige Situationen kann man nicht weg- oder schönreden. Die sind oft einfach schrecklich. Das auszuhalten, ist schwierig. Ich kann dann für den Patienten da sein und ihn in seiner momentan aussichtslosen Situation nicht allein lassen.
Zugleich frage ich mich schon immer wieder: Warum lässt Gott so ein Leid zu? Ich habe dafür noch keine Antwort gefunden, die ich irgendwie zufriedenstellend finde. Andererseits glaube ich, dass Krankheit und Gesundheit, Höhen und Tiefen zum Leben von Menschen dazugehören – die Frage ist, wie wir damit umgehen. Und da kann Gott uns begleiten. Krankheit ist eine Tiefe, aber allein dadurch, dass wir Höhen und Tiefen durchleben, können wir die Höhen wieder viel mehr sehen. Wenn du immer auf einem Höhenflug wärst und immer noch höher hinauswolltest und noch weiter – ich weiß nicht, ob du das dann noch schätzen könntest bzw. ob dir bewusst wäre, worum es dir im Leben geht.

Ich glaube, dass Höhen und Tiefen zum Leben von Menschen dazugehören – die Frage ist, wie wir damit umgehen. Und da kann Gott uns begleiten.
Von den Patienten – z. B. von der Frau, die so lange bei uns auf Station war – lerne ich, das Leben mehr zu schätzen. Sie lehren mich, trotz schwieriger Situationen dankbar zu sein. Und dass wir Menschen nicht immer alles in der Hand haben, sondern manchmal die Verantwortung abgeben müssen, weil die menschliche Kraft Grenzen hat. Mein Lebensmotto ist: „Nach bestem Wissen und Gewissen handeln – ich bin Gottes Werkzeug“. Da gibt es im Gotteslob ein ganz schönes Gebet, das sagt: Ich bin dein Werkzeug und du handelst durch mich. Lass mich dein Werkzeug sein … Ich finde diesen Gedanken einfach schön, denn in den Extremsituationen, mit denen ich oft konfrontiert bin, gibt es meist kein Richtig und Falsch. Sondern wir handeln dann intuitiv. Da spielt Empathie eine wichtige Rolle. In Extremsituationen passen einfach keine Floskeln.
Hoffnungsspenderin sein
Hoffnung spielt in meinem Beruf eine ganz große Rolle. Wenn du ins Krankenhaus gehst, hast du in der Regel Hoffnung, dass es besser wird. Hoffnung machen zum Beispiel Familie und die Erfahrung, dass man schwere Situationen nicht allein aushalten muss, sondern dass jemand da ist, der sie mitträgt und einen begleitet. Hoffnung machen kann eine gute Prognose. Oder ein gutes Essen – zum Beispiel, wenn Menschen unter Geschmacksveränderungen leiden und die Suppe plötzlich wieder schmeckt. Auch Mitpatienten, die erzählen, dass sie eine Erkrankung gut überstanden haben, können Hoffnung machen. Hoffnung hilft, schwierige Situationen auszuhalten und sich wieder auf schöne Dinge zu fokussieren. Deshalb wurde ich sagen: Hoffnungen darf man nie ertränken, sondern Hoffnung müssen wir unterstützen und fördern.

Ich glaube, dass ich eine Hoffnungsspenderin bin, wenn ich zum Beispiel aus meiner Erfahrung heraus sagen kann, dass es wieder besser wird. Ich glaube daran, dass es nach einem Tief auch wieder ein Hoch gibt. Immer. Genauso, wie ich nicht glaube, dass es diese steile Paradekurve gibt, die nur bergauf geht, glaube ich nicht, dass es nur bergab geht – auch wenn es Phasen gibt, die schwer auszuhalten sind. Diese Hoffnung will ich mitgeben. Das ist oft ein schwacher Trost. Aber dadurch, dass ich als Krankenschwester emotional nicht so eingebunden bin, kann ich die Leute darauf hinweisen, dass es noch etwas anderes als das Leid, das sie momentan erleben, gibt.
Wenn klar ist, dass es keine Hoffnung auf Leben mehr gibt, versuche ich, Hoffnung auf Lebensqualität zu machen. Glücklicherweise war ich noch nie in der Situation, jemand sagen zu müssen: „Das hat jetzt alles keinen Sinn mehr.“
ER ist da
Gotteserfahrungen mache ich bei der Arbeit, glaube ich, oft – ich weiß nur nicht, ob ich sie immer so benennen würde. Als vor einiger Zeit im Nachtdienst auf meiner Station ein lebensgefährlicher Notfall eingetreten ist, hat eine total kompetente Kollegin von der Nachbarstation mir geholfen, die anderen Patienten zu versorgen. Da war er auf jeden Fall da. Oder: Einmal, nachts um halb vier, lag eine Patientin im Sterben. Tags zuvor hatte sie gesagt, sie wolle keine Seelsorge haben. Als sie dann sehr unruhig wurde, hatte ich – vielleicht aus Intuition – plötzlich so das Gefühl: Ich spreche sie jetzt nochmal auf das Thema an. Und dann sagte sie: „Es wäre ganz toll, wenn nochmal jemand kommen würde.“ Also habe ich den Pfarrer angerufen. Gerade nachts finde ich das immer ein heikles Thema: Rufe ich an? Rufe ich nicht an? Ich kenne ihn nicht – wie reagiert er? Aber er ist in einer halben Stunde da gewesen, hat der Patientin die Krankensalbung gegeben und kurz darauf ist sie gestorben. Ich war so froh, dass das ein ganz lieber, netter Priester war, der danach sogar noch ein bisschen mit mir gesprochen und mir das Gefühl gegeben hat: Es ist gut so, wie es ist. Ich glaube, auch jedes Lob ist eine kleine Gottesbegegnung, bei der ich merke:

Ich bin Gottes Werkzeug und anscheinend kommt das bei meinen Mitmenschen auch so an. Wenn ich sage „ich will Gottes Werkzeug sein“, dann kann das mein Gegenüber ja genauso sein. Und dann handelt Gott an mir durch diesen Menschen, egal ob das ein Kollege, ein Arzt, ein Patient oder ein Familienangehöriger ist.
Ein Part auf dem letzten Weg
Leider kommt es auch vor, dass Menschen ganz allein sterben. Wenn mir bewusstwird, dass jemand wirklich niemand mehr hat, gehe ich anders in das Zimmer. Ich habe dann das Bedürfnis, demjenigen zu zeigen, dass er trotzdem geliebt und gewollt ist und dass es einen Grund hatte, warum er da war. Ich möchte dann als Krankenschwester zumindest zu einem kleinen Teil den Part von Familie und Freunden übernehmen – dass der Mensch eben nicht das Gefühl hat: Er ist ganz allein. Sterben ist der letzte Weg, den wir gehen können. Den muss man nicht noch schwerer gestalten, als er eh schon ist, sondern der darf würdevoll sein. Deshalb versuche ich, die Menschen so zu begleiten, wie sie sich das wünschen würden und wie auch ich mir wünschen würde, dass andere mit mir umgehen. Damit sie im Guten Leben Leben sein lassen können.
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